World Wide Cyberfeminismus

Von Ansgar Warner

29. Mai 2024

Für Netz-Historiker ist 1991 ein wichtiges Jahr: denn am Europäischen Kernforschungszentrum CERN startete Tim Berners Lee damals auf seinem Server die erste Webseite der Welt – Startschuss für das World Wide Web. Doch es gibt noch einen anderen Grund, genau auf dieses Jahr zu schauen. Denn zum selben Zeitpunkt verbreitete sich via Internet das “Cyberfeminist Manifesto”.

Cyberfeminist Manifesto
Hinter dem Gründungsmanifest des Cyberfeminismus steckte das australische Künstlerinnen-Kollektiv VNS Matrix, gegründet von Josephine Starrs, Julianne Pierce, Francesca da Rimini und Virginia Barratt. Zentraler Satz des kaum eine halbe Schreibmaschinenseite umfassenden Manifestes: “Die Klitoris ist eine direkte Verbindung zur Matrix”.

Digitaler Graben in Sachen Gender

Die Botschaft der “Big Daddy Mainframe-Saboteurinnen” war perfekt ausgerichtet auf die Aufmerksamkeitsökonomie des anbrechenden Webzeitalters. Wie ein Virus sollte sie sich im Netz verbreiten – und die bis dato männerdominierte elektronische Sphäre in Sachen Gender neu ausrichten.

Tatsächlich verlief der digitale Graben damals deutlich stärker nicht nur regional etwa zwischen Stadt und Land oder Nord und Süd, sondern ebenso zwischen den Geschlechtern – die Internetbevölkerung, und bald darauf die Web-Bevölkerung, war überwiegend männlich, die Diskurse in Online-Communities und Mailinglisten ebenfalls.

Von Haecksen zu Webgrrls

In Deutschland sah das nicht anders aus, was die Hacker und Nerds vom Chaos Computerclub bereits im Jahr 1988 erfahren mussten: Denn damals gründeten engagierte Hackerinnen um Rena Tangens und Barbara Thoens die Gruppe der “Haecksen”, um endlich mehr Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit für Genderfragen zu schaffen.

Das Thema blieb aber auch in den 1990er Jahren aktuell, sowohl was die verzerrte Wahrnehmung betraf wie auch als tatsächliches Ungleichgewicht. Eine Newsweek-Liste der “Top 50 People Who Matter Most on the Internet” konnte so etwa 1995 gerade mal drei (!) Frauen nennen.

Eine dieser Frauen war die Bloggerin und Aktivistin Aliza Sherman, die im selben Jahr das Unternehmen Cybergrrl Inc. gründete, und bald mit Vernetzungs-Websites wie Webgrrls.com oder der auf Frauen-Perspektive ausgerichteten Suchmaschine Femina.com neue Akzente setzen konnte – auch international. Die Webgrrls Deutschland gibt es sogar bis heute…